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Tai Chi und Psychosynergetik


Tai Chi Chuan (auch Taijiquan) ist eine alte chinesische Kampfkunst, deren Bedeutung als „absolutes Boxen“ oder „Wasserboxen“ wiedergegeben wird. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts breitet sich das Tai Chi in vereinfachter Form auch im Westen aus, wobei es überwiegend zur Entspannung, Meditation und Gesundheitsförderung praktiziert wird. Alle Bewegungen werden hier sehr langsam, drehend-spiralig und in Wellen fließend ausgeführt. Der gedachte Gegner wird gleichsam umsponnen von fließender Seide, die weich und unzerreißbar fest zugleich ist.

Im Rahmen der Psychosynergetik wird das Tai Chi als Ergänzung empfohlen und in den Seminaren einführend praktiziert (bei längeren Seminaren kann ein externer Tai Chi Lehrer hinzugezogen werden). Tai Chi ist in Deutschland inzwischen so verbreitet, dass alle Seminarteilnehmer, die es weiterführen wollen, in Ihrer Nähe eine entsprechende Ausbildungsmöglichkeit finden werden.

Welche Bedeutung wird dem Tai Chi im Kontext der Psychosynergetik gegeben?

Das Tai Chi kann als perfekte Verkörperung einiger sehr zentraler Prinzipien der Psychosynergetik gelten. So hat das Flow-Konzept nach M. Csikszentmihalyi in der Psychosynergetik einen zentralen Platz. Und man kann sagen, das beim Tai Chi eine Maximierung von Flow auf körperlicher Ebene angzielt wird: Tai Chi ist ein Bewegungssystem, das in optimaler Abstimmung auf die menschliche Gelenkmechanik ein Maximums an harmonischem Bewegungsfluss in komplexen Ganzkörper-Bewegungsmustern kultiviert. Dies ist zum einen eine sehr durchringend-angenehme Erfahrung und es ermöglicht das Studium und Training von Flow in all seinen fördernden und hemmenden inneren und äußeren Bedingungen.

Zum Zweiten spielt das Prinzip des indirekten Handelns in der Psychosynergetik eine wichtige Rolle: Man versucht die Eigenenergien des Gegners oder der Umwelt zu nutzen und quasi „umzulenken“, um mit minimalem eigenen Krafteinsatz ein Maximum an Wirkung zu erzielen (in der Literatur wird das oft als Aikido-Prinzip bezeichnet, ebenso gut könnte man es Tai-Chi-Prinzip nennen).

Dieses Tai-Chi-Prinzip ist im Grunde eine Konkretisierung einer allgemeinen evolutionistisch-systemischen Lebensphilosophie. Hierbei geht es um ein ichvergessenes Handeln innerhalb jener erfühlbaren Handlungsspielräume, die der „Fluss des Seins“ entsprechend seiner Eigengesetzlichkeiten eröffnet. In stabilen Phasen ist dieser Fluss nicht zu verändern und es ist das Beste einfach mitzuschwimmen. In instabilen Phasen aber kann man zum richtigen Zeitpunkt (dem Kairos) an den richtigen Stellen (den Hebelpunkten) mit minimalem Aufwand ein Maximum an Wirkung erreichen. Dann sollte die Dynamik des eigenen Fließens sich in entschlossenes Handeln entladen. Man könnte im Tai Chi nachgerade das Tanzen einer solchen Lebensphilosophie sehen.

Und zuletzt ist Tai Chi natürlich auch im Rahmen der Psychosynergetik Achtsamkeitsübung, Bewegungsmeditation und ein Entspannungs- und Zentrierungsverfahren. Aber auch ein Ritual, das dem Tag oder dem ganzen Leben Rahmen, Struktur und Halt geben kann. Die durch die Jahrhunderte stabil durchgelaufenen Bewegungsmuster können wie ein inneres Geländer sein, das Halt und Orientierung gibt in einer Zeit, in der sich sonst alles immer schneller wandelt.

Natürlich werden die Meister des Tai Chi, für die es nicht Ergänzung sondern das Zentrum des Lebens selbst ist, noch sehr viel mehr darin sehen. Als Asiaten sind sie hineingeboren in die alten östlichen Philosophien oder haben sich als Westler in sie hineingelebt (insbesondere in den Daoismus). Viele und wichtige Aspekte der östlichen Philosophien sind mit Grundaussagen moderner westlicher Systemwissenschaft gut verträglich. Ich bin deshalb der Hoffnung, dass die Meister des Tai Chi an meiner obenstehenden Teil-Interpretation keinen groben Anstoß nehmen werden, auch wenn ihre eigene Interpretation sehr viel differenzierter und weitgehender sein mag. Psychosynergetik fühlt sich in der empirischen Naturwissenschaft verwurzelt. Sie kann erklären, warum wir ein Harmonieempfinden in Bezug auf synergistisch fließende Bewegungen ausbilden mussten (als „inneren Lehrer“ für das willkürmotorische Lernen). Ob dem aber in einer uns zumindest bisher wissenschaftlich nicht zugänglichen Dimension das Fließen einer Art Energie (Chi) entspricht, darüber kann Psychosynergetik keine Aussage machen. Aber für die Lebenspraxis ist das vielleicht auch gar nicht so wichtig.